Printer Friendly Version Eine Perspektive für den Balkan, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.12.2021. @ 21 December 2021 12:45 PM

20.12.2021.

Edi Rama, Ministerpräsident von Albanien,
Aleksandar Vučić, Staatspräsident von Serbien, und
Zoran Zaev, Ministerpräsident von Nordmazedonien

Europa ist nicht nur ein Konti­nent, sondern auch eine Vision. Die Bürge­rin­nen und Bürger der west­li­chen Balkan­län­der, die ein wesent­li­cher Bestand­teil des Konti­nents und dieser Vision sind, wurden jedoch zu lange außen vor gelas­sen. Der Wunsch unse­rer Bevöl­ke­rung, von den EU-Mitglie­dern aufge­nom­men zu werden, wurde immer wieder durch die Innen­po­li­tik der Mitglied­staa­ten, die Nicht­ein­hal­tung von Verspre­chen und die Angst vor der Zukunft zunich­te­ge­macht. Das hat zu Enttäu­schung, Insta­bi­li­tät, Auswan­de­rung und dem Ausblei­ben großer Inves­ti­tio­nen geführt.

Wir als poli­tisch Verant­wort­li­che jener Länder können uns entwe­der darüber beschwe­ren – oder etwas dage­gen tun. Wir haben uns für Letz­te­res entschie­den. Im Novem­ber 2019 haben wir eine vorläu­fi­ge Verein­ba­rung unter­zeich­net, um den Berli­ner Prozess voran­zu­trei­ben, indem wir die Verant­wor­tung für eine vertief­te Zusam­men­ar­beit in der Region über­neh­men.

Unsere Vision ist es, die sozia­len, wirt­schaft­li­chen und handels­po­li­ti­schen Hürden zu über­win­den, die das Wirt­schafts­wachs­tum unse­rer Region behin­dern, indem wir die vier Frei­hei­ten Euro­pas in unse­ren Ländern umset­zen. Deshalb haben wir Abkom­men unter­zeich­net, die Grenz­kon­trol­len abbau­en, damit Waren fast ohne Verzö­ge­rung passie­ren können, und die es unse­ren Bürgern ermög­li­chen, im jeweils ande­ren Land frei zu arbei­ten. Abkom­men, die Mecha­nis­men für den freien Reise­ver­kehr unse­rer Bürger zwischen unse­ren Ländern etablie­ren – so wie EU-Bürger zwischen ihren Ländern reisen. Unsere Initia­ti­ve, die wir „Open Balkan“ nennen, hat sich als effi­zi­ent und hilf­reich erwie­sen, um die sehr schwie­ri­ge Zeit der Pande­mie zu über­ste­hen.

Obwohl die Initia­ti­ve „Open Balkan“ bis jetzt nur Serbi­en, Alba­ni­en und Nord­ma­ze­do­ni­en umfasst, ist sie für alle Mitglie­der des west­li­chen Balkans offen. Wir ergrei­fen diese Gele­gen­heit und laden erneut alle unsere Nach­barn dazu ein, sich anzu­schlie­ßen und ihren Bevöl­ke­run­gen die Vortei­le zu bieten, die wir unse­ren bieten. Durch den freien Perso­nen-, Waren-, Kapi­tal- und Dienst­leis­tungs­ver­kehr kann unsere Zusam­men­ar­beit den Handel und das Wachs­tum ankur­beln und das Leben für jeden Einzel­nen in unse­rer Nach­bar­schaft erleich­tern.

Oft als „Pulver­fass Euro­pas“ kriti­siert, können wir als verant­wor­tungs­be­wuss­te Poli­ti­ker nicht zulas­sen, dass unsere Region in die Albträu­me der Vergan­gen­heit zurück­fällt, während die EU nicht in der Lage ist, in dieser Phase mehr für ihre Erwei­te­rung zu tun. Wir haben unsere Diffe­ren­zen, wir sind uns in eini­gen poli­ti­schen Fragen nicht einig – aber wir sind uns alle einig, dass die Wirt­schaft und die vier Frei­hei­ten Euro­pas der Weg sind, der unse­rer Region Hoff­nung auf dauer­haf­ten Frie­den gibt. „Open Balkan“ ist kein Trost­preis anstel­le einer EU-Mitglied­schaft, sondern im Gegen­teil ein großer Schritt in Rich­tung Mitglied­schaft. So wie die Euro­päi­sche Gemein­schaft für Kohle und Stahl nach dem Zwei­ten Welt­krieg die Geburts­stun­de der Euro­päi­schen Union darstell­te, so wird die „Open Balkan Initia­ti­ve“ als ein Wende­punkt in Erin­ne­rung blei­ben, der unsere Natio­nen näher an die Euro­päi­sche Union heran­führ­te – und in Rich­tung Voll­mit­glied­schaft im größ­ten Handels­block der Welt.

Wir hoffen, dass die neue Bundes­re­gie­rung in Deutsch­land die Initia­ti­ve „Open Balkan“ als Beitrag zur voll­stän­di­gen Umset­zung des Berli­ner Prozes­ses anneh­men und unter­stüt­zen wird. Mehre­re euro­päi­sche Staats- und Regie­rungs­chefs und die ameri­ka­ni­sche Regie­rung haben bereits ihre Unter­stüt­zung zum Ausdruck gebracht. Wir danken ihnen dafür. Unter­neh­mer, Land­wir­te und Studen­ten aus dem gesam­ten West­bal­kan­raum haben eben­falls ihre Unter­stüt­zung bekun­det. Sie sind eine Inspi­ra­ti­on für uns.

Nun sollte sich die gesam­te EU der vollen Unter­stüt­zung dieser Initia­ti­ve anschlie­ßen und unsere Nach­barn ermu­ti­gen, ihre voll­stän­di­ge Umset­zung von einer Notwen­dig­keit zu einer Tatsa­che werden zu lassen. Es ist höchs­te Zeit, dass sich alle Natio­nen und Menschen in der Region für eine besse­re gemein­sa­me Zukunft zusam­men­fin­den. Eine, die Stabi­li­tät, Frie­den und einen höhe­ren Lebens­stan­dard für alle bietet. Eine, die sich über die Strei­tig­kei­ten der Vergan­gen­heit erhebt und unse­ren Kindern die Hoff­nung und die Länder gibt, in denen sie zu leben verdie­nen.